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Katalogtext von Antonia Wagner Die Farbe im Wind oder Colors matter"

 

Diese Wagenladung zerrissener Segel ist jetzt lesbarer und interessanter, als wenn sie in Papier und gedruckte Bücher verwandelt worden wäre. Wer kann so anschaulich die Geschichte der Stürme, denen sie ausgesetzt waren, schildern, wie diese Risse es vermögen? Das sind Druckbogen, die keiner Korrektur bedürfen." 1

"This car-load of torn sails is more legible and interesting now than if they should be wrought into paper and printed books. Who can write so graphically the history of the storms they have weathered as these rents have done? They are proof-sheets which need no correction." 2

 

In ihrer reflexiven malerischen Praxis nutzt Carolina Perez Pallares Farben, Pigmente,Papier, Mehl, Kreide, Sonnenlicht, Fotografien und weitere Materialien. Sie fängt ihre amorph-fließenden, brüchigen, wellenden Eigenschaften ein, wobei die Farbe dasWerkzeug ist, mit dem sie Farbräume wie Versuchsanordnungen entstehen lässt: InVideos, Installationen, Performances, Collagen, Wandmalereien und Zeichnungen fließt, bröselt, zersetzt, verbindet sich die Farbe zu immer neuen Aggregationen oderSchichtungen, die wie Assemblagen 3 stets drohen sich aufzulösen oder neu zusammenzusetzen.

 

C. P. Pallares Malerei erkundet die tradierte Geschichte der Malerei und ihrer Träger, von der Wandmalerei in Höhlen und Kirchen zur Farbe auf Leinwand und Keilrahmen bis zum digitalen Bild als Videoprojektion im Raum. Ihre materialbezogene Farb-Ästhetik schließt an die Anfänge der abstrakten Malerei und ihre Bezüge im abstraktenExpressionismus sowie an die Traditionen der Postminimalistischen Kunst der 1960er und 1970er Jahre, der Land Art und der Performance Kunst an. 4 Im Modus desMalerischen entstehen Netzwerke aus Formen, Farben und Linien im zwei- und drei dimensionalen Bildraum, der persönliche sowie fotografische Erinnerungen derKünstlerin, die spezifische Ausstellungssituation und die Eigenlogik der Farben miteinschließt.

 

Den selbstreflexiven Tendenzen der Malerei stellt  C. P. Pallares immer eine Analyse ihres Entstehungsprozesses entgegen. Durch die Fotografien Cleaning Men, Future,Welcome, take a break bezieht sie ihren Blick auf die sie umgebende Welt mit in ihr Werk ein und thematisiert das Sehen als ästhetische Erfahrung, die ihre Bezüge außerhalb der Kunst benennt. Ihre Malerei zeigt sich so als Bühne dieses referenziellen Systems, in dem sie lebt und arbeitet. Als weiteres Beispiel dient der vorliegendeKatalog selbst: sie lenkt den Blick der Betrachter_in nicht ausschließlich auf dieAbbildungen als möglichst farbechte Reproduktionen ihres Werks, sondern nutzt dieAbbildungen vielmehr als Analyse material, um den Druckvorgang des Kataloges alsOffset-Druck in CMYK offen zu legen.

 

Dieses Druckverfahren besteht aus einem mehr schichtigen Prozess, der die vier Farben Cyan, Magenta, Yellow und Key (Schwarz)additiv, eine Farbe nach der anderen, übereinander legt. Die Druckfarbe wird so zum materiellen Akteur, den die Künstlerin wiederholt im Katalog befragt: What did you say?

 

1 Henry David Thoreau: Walden oder Leben in den Wäldern, Zürich 2004 (orig. 1854) S.1822 Henry David Thoreau: Walden, New York 1997 (orig. 1854), S.1093 Der Begriff der Assemblage geht auf Félix Deleuze und Gilles Guattari zurück. Vgl. dazu Andreas Folkers: Was ist Neu am neuenMaterialismus? – Von der Praxis zum Ereignis, in: Critical Matter. Diskussionen eines neuen Materialismus, Münster 2013, S.264 Siehe u. A. Hilma af Klint, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Emma Kunz ... ; siehe u.A. Helen Frankenthaler, Joan Mitchell, Ronnie Landfield, ... ; siehe u.A Robert Morris und Donald Judd, ... ; siehe u.A Nancy Holt, Robert Smithson, ...ist der Titel einer Zeichnung, die strukturgebend für den Katalog funktioniert.

 

Die Zeichnung wird in jeder Stufe des Druckverfahrens erneut gezeigt ohne jedoch tatsächlich dasselbe Abbild zu drucken.Wie eine Alchemistin, die nicht so sehr interessiert, was das jeweilige Material ist, sondern vielmehr, was es tut, zeigt sie in ihren performativen Videoarbeiten Points und Waiting for the next one wie die Farben sich mischen und verlaufen und was passiert, wenn sie einen weiteren Punkt oder Strich hinzufügt. Abhängig von der Menge anWasser oder Tusche werden die Streifen oder Tropfen größer oder kleiner, verlaufen schnell oder langsam.

 

Ihre Malereien auf Leinwand präsentiert die Künstlerin wie die Ergebnisprotokolle dieses alchemistischen Malprozesses, indem sie ihnen Titel gibt wie Without results oder These organisms are more sensitive than I thought. Wie Félix Guattari und Gilles Deleuze geht auch C. P. Pallares nicht von der Farbe als homogenesMaterial aus, das von der Künstlerin geformt wird, sondern sie ist es, "die dem Material folgt, die dem Weg nachgeht, den es beschreitet." 5 Damit ließe sich in den Arbeiten vonC. P. Pallares eine materialistische Tendenz ausmachen, die im Kontext eines aktuellenInteresses für Materialitäten in den unterschiedlichsten Wissenschaftsbereichen steht, wo nach menschlichen und nicht-menschlichen Transformationen und ihremUnbestimmten gefragt wird. 6

 

Zahlreiche Serien von Aquarellen, Tusche Zeichnungen und Acryl-Studien betonen diesen Prozess der Materialerkundung. Während die Künstlerin sich in den Öl   mit dessen Anspruch auseinander setzen muss, eine Aussage oder ein Ergebnisoder gar die Wirklichkeit sichtbar zu machen, erinnert die Zeichnung vielmehr an dieFlüchtigkeit visueller Erfahrungen. Sie beanspruchen nur einen Ausschnitt der ästhetischen Erfahrung zu zeigen, einen einzelnen Aspekt, den C. P. Pallares in Form undFarbe variiert. Sie wirken spielerisch und spontan; oft nicht zuletzt durch ihre Titel. In ihrer intimen Präsenz öffnet sich der ganze Farbraum der Künstlerin, der Töne wie Quarz Rosa, Mehl Farben, paradiesgrün, Lavendel blau und apfelgrün umfasst und immer wieder Pastelltöne sucht. Der Drang zum Pastell mag wie die Liebe zum Halblicht sein.

 

Es hebt Kontraste des Sehens auf und trennt die Dinge und Formen weniger voneinander, sodass eine Erfahrung des Lichts entsteht, die die Formen miteinander verschmelzen lässt. C.P. Pallares pastellfarbenes Halblicht nimmt die Stimmung des Miteinanders von Formen und Farben wichtiger als das, was jede einzelne Substanz beanspruchen könnte zu sein. So zeigt auch ihr Blatt World full of Color welche Farben zwischen grellem Sonnenlicht und dunklem Schatten entstehen. Auf den von der Sonne ausgebleichten Papieren haben kleinere Schnipsel in unterschiedlichsten Formen ihren kontrastarmen Abdruck hinterlassen. Durch die Kraft der Sonnenstrahlen sind zarte, grafische Blätter hoher Lichtempfindlichkeit entstanden; Druckbogen, die so anschaulich die Stimmung des Lichts einfangen, wie die zerrissenen Segel die Geschichte des Windes.

 

 

 

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5 Tim Ingold: Eine Ökologie der Materialien, in : Stakemeier, Kerstin und Susanne Witzgall: Macht des Materials - Politik der
Materialität, Schriftenreihe des cx centrum für Interdisziplinäre Studien der Akademie der Bildenden Künste München, Zürich 2014, S. 69. 6 vgl. Fußnote 5: In der Einleitung des Konferenzbandes werden zahlreiche Verweise auf Ausstellungen, Konferenzen und
Publikationen mit Bezügen zu Materialitäten und Materie genannt.

 

Fußnote 1:
 

Henry David Thoreau: Walden oder Leben in den Wäldern, Zürich 2004 (orig. 1854) S.182
oder
Henry David Thoreau: Walden, New York 1997 (orig. 1854), S.109
Fußnote 2

 

Der Begriff der Assemblage geht auf Félix Deleuze und Gilles Guattari zurück. Vgl. dazu Andreas Folkers: Was ist Neu am neuen
Materialismus? – Von der Praxis zum Ereignis, in: Critical Matter. Diskussionen eines neuen Materialismus, Münster 2013, S.26

 

Fußnote 3
 

Siehe u. A. Hilma af Klint, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Emma Kunz ... ; siehe u.A. Helen Frankenthaler, Joan Mitchell, Ronnie
Landfield, ... ; siehe u.A Robert Morris und Donald Judd, ... ; siehe u.A Nancy Holt, Robert Smithson, ...

 

Fußnote 4
 

Tim Ingold: Eine Ökologie der Materialien, in : Stakemeier, Kerstin und Susanne Witzgall: Macht des Materials - Politik der
Materialität, Schriftenreihe des cx centrum für Interdisziplinäre Studien der Akademie der Bildenden Künste München, Zürich 2014,
S. 69

 

Fußnote 5
 

vgl. Fußnote 4 : In der Einleitung des Konferenzbandes werden zahlreiche Verweise auf Ausstellungen, Konferenzen und
Publikationen mit Bezügen zu Materialitäten und Materie genannt.

 

 

 

 

 

 

 

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